Was sich neckt, das reimt sich –
Mundartgedichte, Karten und Taschen

20. Januar 2022

Vogelsbergkreis. Wo Sandhasen, Eichbäumchen und Kloßbeutel zu Hause sind, lebt auch der oberhessische Dialekt – solange noch etwas von ihm übrig ist. Mit Mundart und Humor feiert der Lastoria e. V. deshalb das Jahr der Vogelsberger Jubiläen mit: Der Beitrag des Geschichtsvereins sind illustrierte Gedichte „off Pladd“ über Ortsnecknamen. Die Bände „Ortsuznamen aus Oberhessen“ und „Mehr Ortsuznamen aus Hessen“, die aus je vier Minibüchern bestehen, sind schon produktionsreif, ein dritter („Noch mehr Ortsuznamen aus Hessen“) in Arbeit. Damit nicht genug: Einige der Uznamensbilder wird es auch als Postkarten, als Memory und sogar auf Einkaufstaschen geben. Das nichtkommerzielle Mundartprojekt soll sich selbst tragen und ist auf Nachhaltigkeit ausgelegt: Sobald die kleine Startauflage vergriffen ist, wird vorwiegend auf Nachfrage produziert. Interessierte können sich per Mail an den Verein wenden.

Wie immer geht es in dem ehrenamtlichen Projekt auch um Lebensgefühl und regionale Identität. „10 Jahre nach dem Start unseres Oral-History-Projektes in Ober-Gleen, 50 Jahre nach der Gemeindereform und der Gründung des Vogelsbergkreises, aber auch passend zur 800-Jahr-Feier von Alsfeld und zum 750. Geburtstag von Heimertshausen haben wir uns etwas ausgedacht, das sehr viele Gemeinden und auch Generationen verbindet und ein bisschen Mundart in den Alltag bringt“, sagt Monika Felsing. Die Historikerin und Journalistin hat 2021 ein Buch über Kindheit in den 60ern und 70ern in Oberhessen („Du on ech“) herausgegeben. Auch darin kommen ein paar Ortsuznamen vor. Sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen, habe ihr großen „Schbass“ gemacht, sagt die Tochter eines Ober-Gleeners und einer Alsfelderin. „Nach dem Motto: Was sich neckt, das reimt sich.“

96 vorwiegend heitere Kurzgedichte sind entstanden, Mundartverse über weit mehr als 100 Städte und Gemeinden, denn manche Uznamen sind ungemein beliebt. Wie Plasderschisser, ein Spott, der unter anderem auf Alsfeld, Lauterbach und Lehrbach gemünzt ist. „Manche Orte haben auch mehrere Necknamen, und einige Namen sind in Vergessenheit geraten “, schreibt die Autorin, die besonders häufig auf der Website der Heimat- und Geschichtsfreunde Langenbach (Taunus) fündig geworden ist. „Ein echtes Füllhorn.“ Zu der umfangreichen Langenbacher Datenbank mit Necknamen haben auch Mundartexperten wie Karl Heinz Theiß aus Gemünden oder Jürgen Piwowar aus Laubach einiges beigetragen.

In ehrenamtlicher Arbeit hat der Bremer Geschichtsverein Lastoria seit 2012 eine ganze Reihe von Büchern, Hörbüchern und Musik-CDs mit Bezug zu Oberhessen veröffentlicht. Fünf davon sind 2020 als „Vogelsberg Original“ ausgezeichnet worden. Die neue Serie über Ortsuznamen umfasst zwölf quadratische Minibücher, und je vier bilden einen Band. „Zum Sammeln, zum Tauschen, zum Verschenken oder auch als Anreiz für andere, sich mit der eigenen Dorfgeschichte oder Mundart zu beschäftigen“, hat die Autorin die Gedichte gedacht, sie ins Hochdeutsche übersetzt, illustriert und mit Hintergrundinformationen versehen. „Um manche Ortsuznamen ranken sich Legenden oder Anekdoten. Andere haben zum Beispiel mit den Berufen, den Lebensverhältnissen, Vorurteilen oder Vorlieben von Vorfahren zu tun. Und die Plasderschisser hatten eben besonders früh befestigte Gassen, Plätze oder Höfe. Da schwingt dann natürlich auch ein bisschen der Neid der anderen mit…“

Jedes einzelne „Bichelche“ enthält acht, meist farbig bebilderte Ortsuznamensgedichte und passt mit seinen 24 Seiten und seinem Miniformat locker in die Jackentasche, „ean die Kibb voom Moddse“. Eine Bremer Reproanstalt, ein Familienunternehmen in dritter Generation, stellt die Büchlein im Auftrag des Vereins erst einmal in denkbar kleiner Stückzahl her. Acht Prototypen sind schon fertig, und es soll auch einen Schuber mit zwei Fächern geben, der alle zwölf Teile der drei Bände aufnehmen kann und auf diese Weise Platz im Regal spart.

Um die Ortsuznamen ins Gespräch zu bringen und die oberhessische Mundart im Alltag zu fördern, will Lastoria auch Postkarten im regulären Format mit ausgewählten Motiven herausbringen. Und quadratische Kärtchen, aus denen man sich nach und nach sein eigenes Memory nach Wahl zusammenstellen kann. „Auf dem einen Kärtchen steht das Gedicht, auf dem anderen ist das Bild dazu. Und falls man dann irgendwann keine Lust mehr hat zum Memoryspielen, kann man einfach was auf die Kärtchen schreiben, steckt sie paarweise in einen Briefumschlag und verschickt sie, um jemandem eine Freude zu machen“, schlägt Monika Felsing vor. Zum Beispiel einem Sandhasen in Maar oder Niederklein.

„Aus Schbass oo dè Froid“ und aus Freude am Experimentieren hat der Verein erst einmal zwei der Illustrationen auf Einkaufstaschen aus Stoff drucken lassen. Und so gibt es jetzt einen waschechten Gliesboirel: einen Beutel, den ein Foto mit grinsenden Klößen ziert, als mögliches Geschenk für alle, die Ober-Gleen nicht nur vom Durchfahren oder von der Kirmes kennen. Und weil das Buchteam bekanntlich gerne Bremen und Hessen, aber auch Land und Stadt miteinander in Kontakt bringt, ist die Grundlage des zweiten Motivs historisches Pflaster, wie es für die Gassen im Bremer Ostertor typisch ist. Die acht auf das Foto gemalten, knallbunten Buchstaben sind wie eine spezielle Form von Graffiti oder japanische Schrift zu lesen: von oben nach unten und von links nach rechts.

Nachhaltig zu produzieren, hat seinen Preis: Die Stückkosten sind sehr viel höher als bei massenhafter Herstellung, und es muss sehr genau kalkuliert werden, um keine Ressourcen zu vergeuden und damit der Verein nicht auf Sachkosten sitzen bleibt. Honorare fallen nicht an, weil die Autorin und die anderen Profis und Laien im Kernteam von jeher unentgeltlich an den aufwendigen Vereinsprojekten arbeiten. „Das ist unser Geschenk an die Allgemeinheit, unser Beitrag zur Erzählkultur und zum Retten von Erinnerungen.“

Privatpersonen, Vereine, Ortsbeiräte, Kirchengemeinden und andere Institutionen können sich die drei Ortsuznamensbände aus der Startauflage beim Lastoria e. V. unter mail@lastoria-bremen.de sichern, Postkarten, Taschen oder Memorykarten in geeigneter Stückzahl bestellen. Ein Band, bestehend aus vier Ortsuznamensbüchlein, wird gegen 15 Euro plus Versandkosten gegen Vorkasse verschickt. Die Postkarten zu einzelnen Städten und Gemeinden werden voraussichtlich 1,50 Euro kosten, die Kartenpärchen fürs Memory 2,50 Euro, die Einkaufstaschen mindestens 12 Euro. Einiges aus dem Sortiment liefert der Lastoria e. V. beispielsweise an den Regionalladen des Vereins Kompass Leben e. V., Markt 12 in Alsfeld, zusätzlich zu Ober-Gleen-Bänden und Liederbüchern mit oberhessischen Coversongs.

Wer das Projekt auf die eine oder andere Weise unterstützen will, kann sich beim Lastoria e. V. melden. Auch Veranstaltungen sind denkbar – digital oder in Oberhessen, sofern es die allgemeine Lage und die Zeit der Freiwilligen zulassen. Im Blog Owenglie auf der Website www.monikafelsing.de ist auf Owwerhessisch, Hochdeutsch und Englisch nachzulesen, was sich schon alles getan hat und was geplant ist. Der nächste Termin: Im Rahmen der Alsfelder Kulturtage bieten Monika Felsing und Chorleiterin Veronika Bloemers in der Alsfelder Musikschule am Sonntag, 15. Mai, 14 bis 18 Uhr, einen Mundartsingworkshop zu Menschenrechten und Demokratie an, mit anschließendem gemeinsamem Konzert. Ob Eichbäumchen, Brähler oder Walfische – alle können sich jetzt schon zum Workshop anmelden sind herzlich eingeladen zum Mitsingen oder Mitsummen.